Was hat der NSU-Komplex mit Antiziganismus zu tun?

Sinti*zze und Rom*nja erleben in Europa seit Jahrhunderten Diskriminierung und Gewalt, beispielsweise wurden sie in Nazi-Deutschland systematisch verfolgt und ermordet. Teil dieser Verfolgung ist es auch, dass sie seit Jahrhunderten als Kriminelle dargestellt und von der Polizei besonders stark kontrolliert werden. Dafür werden teilweise bis heute rassistische, antiziganistische Ermittlungskategorien aus der Zeit des Nationalsozialismus bei der Polizei weiterverwendet. Dieser strukturelle Antiziganismus zeigte sich auch bei den Ermittlungen und Medienberichten im NSU-Komplex.

Im Jahr 2007 wurde die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn vom NSU ermordet. Am Tatort fanden Ermittler*innen DNA-Spuren, die bereits an mehreren Tatorten in Deutschland, Österreich und Frankreich gefunden wurden. Deswegen ging die Polizei von einer hochkriminellen unbekannten weiblichen Täterin aus, dem sogenannten „Heilbronner Phantom“.

Dies war der erste Fall bei dem in Deutschland bei Ermittlungen DNA-Daten genutzt wurden, um eine angebliche „biogeographische Herkunft“ der Täterin zu bestimmen. Diese ergab, dass die Person angeblich aus Osteuropa stamme. Das Ergebnis nahmen die Ermittler*innen als Anlass, um in ihren Ermittlungen ausschließlich Sinti*zze und Rom*nja zu verdächtigen. Es wurden Speichelproben von 3000 Frauen aus diesen Communities genommen. Die Täterinnenprofile, die erstellt wurden, waren voller antiziganistischer Vorurteile. In den Ermittlungsakten zum Fall machte die Polizei außerdem zahlreiche rassistische Vermerke. Bei den Ermittlungen wurden alle Sinti*zze und Rom*nja in Deutschland pauschal kriminalisiert und verdächtigt. Dies wurde auch in den Medienberichten unkritisch übernommen.

2009 wurde öffentlich bekannt, dass es keine hochkriminelle Täterin gab. Die DNA-Spuren, die an mehreren Tatorten gefunden wurden, stammten von einer Mitarbeiterin einer Wattestäbchen-Firma, bei der die Hygiene-Standards nicht eingehalten wurden. Obwohl also bewiesen war, dass diese vermeintliche Spur der Polizei falsch war, ermittelten die Beamt*innen dennoch weiter gegen Sinti*zze und Rom*nja. Dies wurde in den Ermittlungsbehörden nie aufgearbeitet, es gab keine Entschuldigungen bei den Betroffenen und auch in den Medien und der Gesellschaft folgte keine kritische Auseinandersetzung mit dem Antiziganismus bei den Ermittlungen.

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