Was hat der NSU-Komplex mit Antisemitismus zu tun und warum wird das so selten berücksichtigt?

Antisemitismus ist ein expliziter Teil des Weltbildes des NSU. Das zeigt sich bereits an ihrem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“, mit dem sie sich positiv auf den Nationalsozialismus beziehen und sich in seiner Fortführung sehen. Mit ihren Taten wollten sie ihre Fantasien eines „arischen Volkes“ Realität werden lassen und träumten davon, alle Menschen, die für sie nicht Teil dieses Weltbildes waren, zu vernichten. Auf ihren Listen mit möglichen Anschlagszielen fanden sich unter anderem Moscheen, türkische und linke Einrichtungen, Geflüchtetenunterkünfte sowie 233 jüdische Einrichtungen. Daran zeigt sich deutlich, dass Antisemitismus nicht nur ein Teilaspekt des NSU, sondern ein entscheidendes Element ihrer Radikalisierung und Überzeugungen war.

Bereits vor seinem Untertauchen beging der NSU eine Reihe antisemitischer Taten. So hängten sie beispielsweise an einem Strick eine Puppe, die mit einem gelben Stern markiert war, von einer Autobahnbrücke, liefen mit SA-Uniformen durch die KZ-Gedenkstätte Buchenwald und verkauften ein antisemitisches Spiel namens „Pogromly“, bei die Schoa nachgespielt wird. Diese expliziten Vernichtungsfantasien des NSU waren zum Zeitpunkt des Untertauchens der Gruppe bekannt. Dennoch sahen die Beamt*innen keinen besonderen Anlass für Ermittlungen, als Beate Zschäpe später beim Ausspähen der Synagoge Rykestraße in Berlin gesehen wurde. Dies kann nur mit dem strukturellen Antisemitismus in Deutschland erklärt werden.

Dennoch wird der Antisemitismus des NSU und im NSU-Komplex kaum erwähnt. Die meisten Menschen in Deutschland denken, dass Deutschland aus seiner Geschichte vollumfänglich gelernt habe und es daher heute keinen deutschen Antisemitismus mehr gäbe. Wenn also in Deutschland über Antisemitismus gesprochen wird, wird er entweder in die Vergangenheit oder zu „den Migrant*innen“ geschoben. Umfragen zeigen jedoch deutlich, dass antisemitische Einstellungen in Deutschland weit verbreitet sind und dass antisemitische Gewalt hauptsächlich von rechts ausgeht. Diese Tabuisierung von Antisemitismus führt dazu, dass er nicht besprochen wird und dass sich nichts ändern kann. In diesem Licht ist es auch zu sehen, dass die antisemitischen Taten des NSU kaum erwähnt werden.

Am NSU zeigt sich deutlich, wie Rassismus und Antisemitismus miteinander verschränkt sind. Und es zeigt sich auch, wie struktureller Antisemitismus dazu führte, dass der NSU trotz seiner bekannten Vernichtungsfantasien nicht vollumfänglich verfolgt wurde. Ohne dies in den Blick zu nehmen, kann der NSU-Komplex nicht vollständig begriffen und aufgeklärt werden.

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